Die Hochzeit des Figaro - Auf Baldrian
In einer Inszenierung des Dortmunder Opernhauses führt Mariame Clément in Nürnberg durch die Wirrungen von Figaros Hochzeit von Mozart. Das Stück beginnt mit stummen Aktionen auf der Bühne und in der Nacht, wie es schließlich auch endet. Es dauert eine ganze Weile, bis die Musik endlich einsetzt. Und als sie einsetzt, meint man, dieser Mozart hat zu tief in die Baldrian-Flasche gelinst. Peter Tilling hat eine etwas andere Auffassung, wie in dieser Oper das Tempo sein sollte. Das verlängert die 3 ½ Stunden Spielzeit der Oper auf fast 4. Ob die Pausen auch daran liegen mögen, dass er die Rezitative selbst am Hammerklavier begleitet, mag eine Erklärung sein. Leider verliert die Oper dadurch ziemlich an Tempo.
Auch mit der ersten Szene war viel gewollt und doch wenig erreicht. Auf dem Bühnenboden hat Julia Hansen den Grundriss eines Schlosses eingezeichnet. Die Möbel und Kostüme sind aus Mozarts Zeit, man hat aber auf jede Dekoration verzichtet. Die Akteure sitzen in Gruppen in ihren virtuellen Zimmern, machen brav, zumeist eine unsichtbare Tür auf, rutschen aber auch zwischen den Nummern gegen den Uhrzeigersinn immer wieder ein Zimmer weiter. So liegt die Gräfin in einem Bett auf der Mitte der Bühne, jeder geht an diesem Tag seiner eigenen Tätigkeit nach: Der Gärtner recht den Rasen, die Angestellten legen Wäsche zusammen. So hängt auch Susanna Wäsche in dem Frontzimmer auf, das zur Bühne gerichtet ist. Es ist gerade so viel Mobiliar auf der Bühne, dass sich Cherubino hinter dem Stuhl verstecken kann, in den sich auch der Graf setzen wird. Zwar mit viel Liebe zum Detail betreibt man hier ein Mensch-Ärgere-Dich nicht Konzept, in dem man die jeweiligen Personen immer vor an die Bühne holt. Im nächsten Arienzug rutscht man dann ein Feld weiter. Insgesamt sorgt das Konzept aber für viel Unruhe auf der Bühne, da man auch Personen sieht, die mit der Handlung in der aktuellen Szene nichts zu tun haben. Insgesamt konnte der erste Akt vielleicht durch die Liebe zum Detail überzeugen, insgesamt ging das Konzept aber nicht auf. Als noch ein Chor auf die Bühne kommt, wird es fast zu viel.
Im zweiten Akt schafft man dann aber die Kehrtwende. Es wird eine Abtrennung heruntergefahren und die schwarze Wand hat gerade so viele Aussparungen, um das Versteckspiel von Cherubino im Schrank überzeugend herüberzubringen. Man sieht das Schlafzimmer der Gräfin. Die Auftrittsarie der Gräfin (Porgi Amor) wird mit viel Schluchzen vorgetragen. Vor dem Fenster steht der Schminktisch der Gräfin. Der Akt ist wirklich gut umgesetzt und kann das, bis dahin reservierte Publikum, zu ersten Lachern hinreißen. Das Hämmern des Grafen an der Sperrholzwand ist beeindruckend und mit dem Gewehr in der Hand ist er eine echte Bedrohung für die Gräfin, die im Schrank immer noch Cherubino vermutet. Der hat aber vorher das Weite über das Fenster gesucht und den Platz im Schrank mit Susanna getauscht. So kommt zur Überraschung aller tatsächlich Susanna aus dem Schrank. Etwas Verwirrung bringt dann der Gärtner, der behauptet, er hätte eine Person flüchten sehen. Auch das 20-minütige Schlussduett (Esci omai, garzon malnato, sciagurato, non tardar) der sieben Hauptpersonen ist gekonnt in Szene gesetzt. Man findet sich immer wieder zu kleinen Grüppchen zusammen, singt gegeneinander, steht teils auf dem Bett der Gräfin, teils auf Stühlen.
Im dritten Akt dient nun ein Lattengerüst als Zimmer des Grafen, das gefährlich wankt. Der Graf sitzt an einem Sekretär und verfasst Notizen. Figaro soll der Haushälterin Marcellina die Ehe versprochen haben. Im Verlauf des Prozesses stellt sich aber anhand eines Tattoos heraus, dass Figaro Marcellinas Sohn ist und sie folglich gar nicht heiraten kann. Die Gräfin und Susanna planen nun ein Komplott, das den Grafen endgültig überführen soll. Es wird ein Brief aufgesetzt und eine Verabredung im Garten geplant. Bevor das aber beginnt, spielt man mit Stühlen ‚Die Reise nach Jerusalem‘.
Es kommt zum großen Showdown im letzten Akt. Auch hier bietet die blaue Bühne einen Eindruck von Nacht. Auf dem Boden sind Laubblätter verteilt. Es gibt einen Gartenschober und einen Kellereingang, in dem die Leute verschwinden können. Vom Bühnenhimmel hängt eine Schaukel, auf der zuerst Susanna als Gräfin ihren Platz einnimmt. Während Figaro seine Susanna erkennt, fällt der Graf auf das Verwirrspiel herein und umgarnt seine eigene Frau. Mit einer kräftigen Ohrfeige setzt die Gräfin dem Spiel ein Ende. Im Brautkleid Susannas und mit einer Pistole bewaffnet fleht der Graf nun um Verzeihung (Gente, Gente, All`armi). Das ist für mich immer die beste Stelle der Oper, als der Graf einlenkt und seine Frau um Gnade bittet. Mit einer Doppelhochzeit endet die Oper. Auf der Schaukel sitzend gibt jeder dem Grafen einen ordentlichen Schub.
Am Ende der Oper ist man mit den Startschwierigkeiten versöhnt, man hat sich an das Tempo gewöhnt. Gerade die beiden Paare Graf/Gräfin und Figaro/Susanna sind großartig besetzt. Jochen Kupfer gibt einen eleganten Grafen, Hrachuí Bassénz die, im Stolz verletzte, Gräfin. Michaela Maria Mayer besitzt die Portion Verschlagenheit, die man für eine Susanna braucht und Nicolai Karnolsky gibt einen sehr bassbetonten Figaro. Wer jetzt am ersten Akt verzweifelt, dem sei gesagt, dass die drei anderen Akte dagegen gut umgesetzt sind. Hier zahlt sich also etwas Geduld beim Publikum aus. Irgendwann siegen dann Da Ponte und Mozart und ab diesem Zeitpunkt ist das Stück dann wirklich gut. Schade nur, dass dieser Figaro etwas zu tief in die Baldrian-Flasche geschaut hat. Dabei hat das Stück, das das 'jus primae noctis' des Adelsstandes aufgreift, durchaus damals eine Brisanz gehabt. Dieses Recht auf die erste Nacht mit der untergebenen Susanna wird hier in der Oper verwehrt. Die Textvorlage zur Oper war mit dem Stück von Beaumarchais Wegbereiter der Französischen Revolution.
Quelle: YouTube | Staatstheater Nürnberg
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